Unzureichende Mikronährstoffzufuhr: Eine modellbasierte Analyse zur weltweiten Ernährungslage

Veröffentlicht am 1. Oktober 2024 | Passarelli S et al.
ErnährungMagnesiumMineralstoffeVitamin B1Vitamin B12Vitamin CMikronährstoffeMangelernährung

Diese groß angelegte Modellierungsstudie ermittelt erstmals den weltweiten Mangel an 15 lebenswichtigen Mikronährstoffen auf Basis realer Verzehrdaten. Die Analyse basiert auf Daten aus 185 Ländern und 34 Alters- und Geschlechtsgruppen und zeigt alarmierende Ergebnisse:

  • Über 5 Milliarden Menschen konsumieren nicht ausreichend Jod (68 %), Vitamin E (67 %) und Calcium (66 %).
  • Über 4 Milliarden Menschen leiden an einer unzureichenden Aufnahme von Eisen (65 %), Riboflavin, Folsäure und Vitamin C.
  • Frauen sind besonders gefährdet bei Jod, Vitamin B12, Eisen und Selen; Männer dagegen bei Magnesium, Vitamin B6, Zink, Vitamin C, A, Thiamin und Niacin.

Die Studie identifiziert zudem regionale Unterschiede: Etwa in Südasien, Afrika und Ostasien ist der Calciummangel besonders ausgeprägt.

Fazit: Mikronährstoffmängel betreffen weltweit die Mehrheit der Bevölkerung. Die Ergebnisse liefern eine wertvolle Grundlage für gezielte Interventionen in der öffentlichen Gesundheit, wie Nahrungsergänzung, Anreicherung oder Biofortifikation.

Hintergrund

Mikronährstoffmängel gehören zu den häufigsten und gleichzeitig am wenigsten erkannten Formen der globalen Mangelernährung. Bisherige Analysen konzentrierten sich meist auf bestimmte Bevölkerungsgruppen oder Länder und nutzten häufig nur Daten zum Nährstoffangebot, nicht aber zur tatsächlichen Aufnahme. Diese Studie liefert erstmals globale, demografisch differenzierte Schätzungen zur unzureichenden Nährstoffaufnahme – ein entscheidender Schritt für die gezielte Ernährungspolitik.

Methodik

  • Datenquellen: Global Dietary Database (GDD), nutriR-Datenbank, WHO, Weltbank
  • Erfasst wurden 15 essentielle Mikronährstoffe (z. B. Eisen, Calcium, Jod, Folsäure, Vitamin C, B12, A, E, Zink)
  • Bewertung auf Basis von 34 Alters- und Geschlechtsgruppen in 185 Ländern (~99 % der Weltbevölkerung im Jahr 2018)
  • Berechnung von Median-Aufnahmen und Verteilungsformen für jede Bevölkerungsgruppe
  • Vergleich mit internationalen Referenzwerten für Nährstoffbedarf
  • Ausschluss von Nährstoffzufuhr über Supplemente oder Anreicherung

Ergebnisse

Die Studie offenbart weitverbreitete Ernährungslücken:

  • Jod, Vitamin E und Calcium: Über 5 Mrd. Menschen weltweit sind unterversorgt.
  • Eisen, Riboflavin, Folsäure und Vitamin C: Über 4 Mrd. Menschen betroffen.

Besonders betroffen:

  • Frauen: höhere Mangelraten bei Jod, Eisen, Folsäure, B12 und Calcium
  • Männer: häufiger unterversorgt mit Vitamin A, C, B6, Thiamin, Magnesium und Zink

Regionale Unterschiede:

  • Calciummangel in Südasien, Afrika, Ostasien
  • Vitamin-E-Mangel weltweit verbreitet, besonders außerhalb von Nordamerika und Europa
  • Riboflavin- und B12-Mangel besonders in Südasien und Afrika

Länder wie Indien, Russland, Mongolei und die DR Kongo zeigten besonders gravierende Mängel bei mehreren Mikronährstoffen.

Stärken und Limitationen

Stärken:

  • Erstmals globale Schätzung der tatsächlichen Nährstoffaufnahme auf Basis realer Verzehrdaten
  • Nutzung harmonisierter, reproduzierbarer Methoden
  • Öffentliche Verfügbarkeit aller Daten und Code

Limitationen:

  • Keine Berücksichtigung von Nahrungsergänzungsmitteln und Anreicherungen → Mögliche Überschätzung in Ländern mit fortschrittlicher Ernährungspolitik
  • Datenlücken, besonders bei einzelnen Mikronährstoffen und Bevölkerungsgruppen (z. B. Männer)
  • Keine Berücksichtigung von Nährstoff-Bioverfügbarkeit und -Interaktionen

Schlussfolgerung

Diese Studie zeigt, dass ein großer Teil der Weltbevölkerung an mindestens einem Mikronährstoffmangel leidet – häufig an mehreren. Die Ergebnisse unterstreichen die Dringlichkeit ernährungspolitischer Maßnahmen: gezielte Supplementierungs-, Anreicherungs- und Biofortifikationsprogramme könnten helfen, die weltweite Mikronährstoffversorgung erheblich zu verbessern.

Durch die differenzierte Darstellung nach Alter, Geschlecht und Region liefert die Studie wertvolle Ansätze für eine zielgerichtete globale Ernährungspolitik, insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Zur Übersicht aller Studien